On the Highway of Archangels.In the Theatre of Heaven. In the Light Garden.
Peter Levi's archaeological travelogue of an undestroyed Afghanistan at the end of the 1960s
Im Jahr 1969, zwei Jahre vor seinem 40. Geburtstag, reiste der klassisch gebildete und archäologisch interessierte Schriftsteller Peter Levi (1931—2000) nach Afghanistan. Sein erklärtes Reiseziel als Kenner des antiken Griechenlands war es, das graeco-buddhistische Erbe des südlichen Zentralasiens für sich zu erschließen, das seit jeher ein Sehnsuchtsort für Durchreisende gewesen war. Seit Alexander dem Großen hatten unzählige Herrscher, Armeen, Händler und Wandermönche auf den afghanischen Routen der legendären Seidenstraße ihre Spuren hinterlassen. Der Zauber reichte bis in Peter Levis Gegenwart – mit Hasch rauchenden westlichen Jugendlichen, die auf dem “Hippie-Trail” ins verheißene Nepal und nach Nordindien zogen, und nicht selten in Kabul hängenblieben.
Entfacht worden war Levis Neugier durch den etwa gleichaltrigen französischen Archäologen Paul Bernard, dessen Vorlesungen an der Universität Oxford er besuchte. Unter Bernards Leitung war zwischen 1964 und 1978 die antike Stätte “Ay Khanoum” aus dem afghanischen Sand gegraben worden – das legendäre “Alexandria am Oxus”, eine von vielen Stadtgründungen Alexanders des Großen auf seinem Asien-Feldzug. Peter Levi war fasziniert von dieser „seltsamen Geschichte einer griechischen Stätte in einem so entlegenen Teil des Erdballs“.
Kaum ein anderes Land der Welt erscheint so abgelegen wie Afghanistan: am Rande des höchsten und unwirtlichsten Gebirges der Welt, mit einer unglaublichen durchschnittlichen Höhe von 1885 Metern üNN, ohne Zugang zum Meer, am Rande des antiken Weltwissens, am Rande der mittelalterlichen Weltscheibe, am Rande des hinduistisch-buddhistischen wie auch des islamischen Kulturkreises, vermeintlich stets am Rande der Weltgeschichte. Und doch – griechisch-makedonische Generäle, chinesisch-buddhistische Mönche, mongolische Reiterherrscher, britische Infanteristen – sie alle hatten in ihrer jeweiligen Zeit erkannt, dass der Rand der Weltgeschichte in Wahrheit eine ihrer bedeutendsten Kreuzungen darstellt: europäisches Abendland und islamisches Morgenland im Westen, Mongolen und Russen im Norden, Tibet und chinesische Kaiserreiche im Osten, indische Moguln im Süden.
Afghanistan präsentierte sich Peter Levi und seinem Reisebegleiter, dem damals noch unbekannten Bruce Chatwin, in einer heute kaum noch nachvollziehbaren Blüte. Die Spätphase des afghanischen Königreichs erschien trotz dunkler Vorzeichen als einigermaßen gute Periode. Das Land war noch nicht von Krieg und Bürgerkrieg in den Abgrund des 20. Jahrhunderts gestoßen worden, sondern hatte sich – genau im Gegenteil – gerade aus dem Abgrund des 19. Jahrhunderts befreit. Der Neu-Brite in Peter Levi (seine Eltern waren von Istanbul nach England ausgewandert) interessierte sich auch für die jüngere Geschichte dieses strategisch so wichtigen wie berüchtigten Gebietes am Rande des indischen „Kronjuwels des britischen Empires“, das von den Briten wie von den Russen als idealer Vorposten in ihrem „Great Game“ um die Schätze Zentralasiens betrachtet wurde. Der Historiker und exzellente Beobachter Peter Levi war sich jedoch nur allzu bewusst, dass die Geschichte Afghanistans erneut dunkle Wendungen würde nehmen können, und notierte: das Unheil einer Invasion lag schon um 1970 in der Luft. Neun Jahre später rückten die sowjetischen Panzer Richtung Hindukusch vor.
Die sowjetische Invasion und ihre Folgen haben Afghanistan verändert wie kaum ein anderes Land. Auch daher ist Peter Levis Reisebericht ein Kleinod der Reiseliteratur. Die Qualität dieses Buches bemisst sich weniger nach Levis klassischem Vorwissen, seinen ausgewogenen historischen Spekulationen oder seiner archäologischen Beobachtungsgabe, sondern vielmehr nach der Verbindung dieser Vorzüge mit seinem scharfen Blick auf den aktuellen Zustand des Landes und seiner Bevölkerung, mit den ebenso detailreichen wie beiläufigen Skizzen von Landschaften, Städten und Gebäuden, und mit den eingestreuten Anekdoten einer auch logistisch nicht immer einfachen Reise. Die vorliegende Ausgabe enthält auch Fotografien aus Bruce Chatwins Archiv sowie ein neues Vorwort, in dem Levi Jahre viele später auf die Reise zurückblickt.
Bei alledem ist die poetische Schlagseite der stets faktengesättigten Reiseprosa nicht für jeden etwas. Die Lektüre zwingt zum Mitdenken (und Mitreisen). Der Autor Levi suchte selbst nach einem roten Faden und steckte gedanklich in mannigfaltiger Lektüre (neben den bekannten Abhandlungen über Afghanistan las er zu jener Zeit die Reiseberichte des japanischen Haiku-Meisters Matsuo Bashō und außerdem Horaz). Nebenher versuchte er, Persisch zu lernen. Afghanistan erschien ihm bei aller Faszination „als archäologisches Gebilde besonders unbefriedigend“ (wenn auch alles andere als unergiebig). So beginnt Peter Levi sein Vorwort gleich mit der eigenen Irritation und Zweifeln bezüglich der literarischen Form und der Länge seines Berichts, die ihn noch lange nach der Reise verfolgten:
Als ich in Kabul eintraf, war ich mir noch nicht sicher, was für eine Art von Buch ich schreiben würde; ich wusste, dass es ein archäologisches sein und von einer Reise handeln würde, doch wie soll man in einem einzigen Buch so viele Fragen beantworten?
Seine Vielseitigkeit jedenfalls, die angesichts der Fülle verfügbarer kunsthistorischer und historischer Entdeckungen und Erkenntnisse manchmal in einen gewissen Eklektizismus und auch Dilettantismus geradezu abgleiten musste, begleitete Levi zeitlebens, woraus er nicht nur selbst keinen Hehl machte, sondern wahrscheinlich Kraft schöpfte. Peter Levi hatte seine klassische akademische Ausbildung in Oxford erhalten, wo er später, in den achtziger Jahren, zum Professor für Poesie berufen und zeitweise gar als Kandidat für hohe Lyrik-Preise gehandelt wurde. Sein Oeuvre umfasst daher neben den Reiseberichten auch zahlreiche poetische Werke, Biografien, Übersetzungen, eine Geschichte der griechischen Literatur, historische Werke über Griechenland, sogar ein paar Romane sowie eine frühe Autobiografie (The Flutes of Autumn, 1983).
Die sowjetische Invasion und ihre Folgen haben Afghanistan verändert wie kaum ein anderes Land. Auch daher ist Peter Levis Reisebericht ein Kleinod der Reiseliteratur. Die Qualität dieses Buches bemisst sich weniger nach Levis klassischem Vorwissen, seinen ausgewogenen historischen Spekulationen oder seiner archäologischen Beobachtungsgabe, sondern vielmehr nach der Verbindung dieser Vorzüge mit seinem scharfen Blick auf den aktuellen Zustand des Landes und seiner Bevölkerung, mit den ebenso detailreichen wie beiläufigen Skizzen von Landschaften, Städten und Gebäuden, und mit den eingestreuten Anekdoten einer auch logistisch nicht immer einfachen Reise. Die vorliegende Ausgabe enthält auch Fotografien aus Bruce Chatwins Archiv sowie ein neues Vorwort, in dem Levi Jahre viele später auf die Reise zurückblickt.
Bei alledem ist die poetische Schlagseite der stets faktengesättigten Reiseprosa nicht für jeden etwas. Die Lektüre zwingt zum Mitdenken (und Mitreisen). Der Autor Levi suchte selbst nach einem roten Faden und steckte gedanklich in mannigfaltiger Lektüre (neben den bekannten Abhandlungen über Afghanistan las er zu jener Zeit die Reiseberichte des japanischen Haiku-Meisters Matsuo Bashō und außerdem Horaz). Nebenher versuchte er, Persisch zu lernen. Afghanistan erschien ihm bei aller Faszination „als archäologisches Gebilde besonders unbefriedigend“ (wenn auch alles andere als unergiebig). So beginnt Peter Levi sein Vorwort gleich mit der eigenen Irritation und Zweifeln bezüglich der literarischen Form und der Länge seines Berichts, die ihn noch lange nach der Reise verfolgten:
Als ich in Kabul eintraf, war ich mir noch nicht sicher, was für eine Art von Buch ich schreiben würde; ich wusste, dass es ein archäologisches sein und von einer Reise handeln würde, doch wie soll man in einem einzigen Buch so viele Fragen beantworten?
Seine Vielseitigkeit jedenfalls, die angesichts der Fülle verfügbarer kunsthistorischer und historischer Entdeckungen und Erkenntnisse manchmal in einen gewissen Eklektizismus und auch Dilettantismus geradezu abgleiten musste, begleitete Levi zeitlebens, woraus er nicht nur selbst keinen Hehl machte, sondern wahrscheinlich Kraft schöpfte. Peter Levi hatte seine klassische akademische Ausbildung in Oxford erhalten, wo er später, in den achtziger Jahren, zum Professor für Poesie berufen und zeitweise gar als Kandidat für hohe Lyrik-Preise gehandelt wurde. Sein Oeuvre umfasst daher neben den Reiseberichten auch zahlreiche poetische Werke, Biografien, Übersetzungen, eine Geschichte der griechischen Literatur, historische Werke über Griechenland, sogar ein paar Romane sowie eine frühe Autobiografie (The Flutes of Autumn, 1983).
Auch in “The Light Garden” suchte Levi nicht nur nach den Spuren der Händler, Pilger und Eroberer auf den hoch gelegenen Passstraßen und in den Tälern Afghanistans, sondern nach der eigenen Stimme. Es wird ein äußerst dichter Report – mit schwungvollem Pinselstrich und Ironie trotz der eleganten und manchmal etwas zu gelehrten Sprache. Wir begleiten ihn durch die Basare und das von Alexander dem Großen begründete Kastell in Herat, die brüllende Hitze und den Drogenhandel von Kandahar, die Farben der Berge hinter Kabul und dessen stinkende Altstadt, historische Steinhaufen, die Mönchshöhlen und Riesen-Buddhas von Bamiyan. Wir erleben Männer, die in einem Café eine Wachtel quälen, Männer, die gemeinsam singen, Männer, die Waffen zum Schutz vor Staub in geblümte Tücher hüllen, schnappende Pferde und lebensgefährlich aggressive Nomaden-Hunde, beschwerliche Tagesausflüge ohne verlässliches Kartenmaterial und ohne verlässliche Zeitangaben der Einheimischen, Aprikosenhaine, Kamele, Jahrmärkte, Minarette, die wenigen unbefangenen Frauen. Oft haftet Peter Levis Beschreibungen eine beiläufige, leichthändige Eindringlichkeit an. Zum Beispiel in Kandahar:
An jenem Tag war das Wasser in der Wasserflasche neben meinem Bett so heiß wie Tee, und das Metall des Bettgestells war zu heiß um es anzufassen. […] Am Abend gab es eine schwache, neblige Kühle in der Luft, und wir probierten aus, welche Wirkung ein Spaziergang haben würde. Wir gingen in die Felder unterhalb der Stadt, vorbei an stinkenden Tümpeln von schwarzem Wasser, in denen Kinder schwammen, und wir begegneten einem Jungen von acht Jahren mit einem Falken auf dem Handgelenk. […] In einer anderen Straße sahen wir ein Wolfsjunges an einer Schnur. […] Ich glaube, der Feldweg, dem wir da folgten, entsprach der antiken Straße, und war das der Fall, dann muss Alexander sie genommen haben. Der Himmel über Alt-Kandahar war limonengelb; die Sonne verschwand mit einem Zischen, wie rotglühendes Eisen in Wasser; wir gingen mit etwa demselben Geräusch ins Bett.
Nomadenvölker waren zu jener Zeit das Lieblingsthema von Levis Reisebegleitung Bruce Chatwin, über das sie sich während der Reise gewiss viel unterhalten haben. Ein roter Faden des Buches ist daher ein nomadisch irrlichterndes Erkenntnisinteresse, das beiden Reisenden ganz offensichtlich im Blut lag. Diesen Geist des Umherschweifens entdeckt man aber auch in Levis historisch exakten, immer mit Jahreszahlen versehenen Betrachtungen der vielgestaltigen Epochen von Persern, Griechen, Parthern, Hunnen, Mongolen, Moguln, Briten und Russen.
Alle diese Herrscher und ihre Gefolge erscheinen ganz plastisch, enzyklopädisch, mit allen verfügbaren Spuren, die sie in diesem fremden Land hinterlassen haben. Spuren, die oft nur mit größter Mühe an die Oberfläche gezerrt werden können, wenn überhaupt. Ganz offenbar gab es viel zu viele Durchreisende und viel zu viel Zerstörung und Bildersturm auf diesem Gebiet, um ein „archäologisch befriedigendes Gebilde“ abzugeben. Am Beispiel der uralten, von Dschingis Khan völlig zerfetzten baktrischen Metropole Balkh, in der schon Zarathustra gewirkt haben soll:
Balkh war lange vor der Zeit Alexanders und vor der Zeit des Perserreiches eine große Stadt. […] ausschlaggebend ist die Tatsache, dass Balkh nicht so sehr eine Festung als vielmehr eine Handelsstadt war, die aufgrund ihrer Lage, ihrer Wasserläufe und Fruchtbarkeit und der Routen, die sich hier treffen, eine einmalige Begegnungsstätte von Völkern und Kulturen war. Aber ach, sie bringt auch die Archäologen zur Verzweiflung. Keine Ausgrabung von Balkh hat je die griechische Stadt zutage gefördert. Man muss sehr tiefe Gruben ausheben, und die füllen sich sofort mit Wasser und müssen ausgepumpt und trockengelegt werden.
[…]
Wir gingen zusammen um die Mauern herum und beschränkten uns auf immer tieferes Schweigen. Die innere Stadt muss eineinhalb Kilometer Durchmesser gehabt haben, es gibt Steinhaufen am Boden und natürlich ein chaotisches Übermaß an Keramikscherben.
Für die einzige sichere archäologische Methode einer vollständigen Ausgrabung des riesigen Komplexes fehlte, wie Levi vermutete, das Geld und vielleicht auch Talent. Er verglich das Unterfangen mit der „amerikanischen Ausgrabung der Agora von Athen, die bereits seit fünfzig Jahren im Gang ist“.
Alle diese Herrscher und ihre Gefolge erscheinen ganz plastisch, enzyklopädisch, mit allen verfügbaren Spuren, die sie in diesem fremden Land hinterlassen haben. Spuren, die oft nur mit größter Mühe an die Oberfläche gezerrt werden können, wenn überhaupt. Ganz offenbar gab es viel zu viele Durchreisende und viel zu viel Zerstörung und Bildersturm auf diesem Gebiet, um ein „archäologisch befriedigendes Gebilde“ abzugeben. Am Beispiel der uralten, von Dschingis Khan völlig zerfetzten baktrischen Metropole Balkh, in der schon Zarathustra gewirkt haben soll:
Balkh war lange vor der Zeit Alexanders und vor der Zeit des Perserreiches eine große Stadt. […] ausschlaggebend ist die Tatsache, dass Balkh nicht so sehr eine Festung als vielmehr eine Handelsstadt war, die aufgrund ihrer Lage, ihrer Wasserläufe und Fruchtbarkeit und der Routen, die sich hier treffen, eine einmalige Begegnungsstätte von Völkern und Kulturen war. Aber ach, sie bringt auch die Archäologen zur Verzweiflung. Keine Ausgrabung von Balkh hat je die griechische Stadt zutage gefördert. Man muss sehr tiefe Gruben ausheben, und die füllen sich sofort mit Wasser und müssen ausgepumpt und trockengelegt werden.
[…]
Wir gingen zusammen um die Mauern herum und beschränkten uns auf immer tieferes Schweigen. Die innere Stadt muss eineinhalb Kilometer Durchmesser gehabt haben, es gibt Steinhaufen am Boden und natürlich ein chaotisches Übermaß an Keramikscherben.
Für die einzige sichere archäologische Methode einer vollständigen Ausgrabung des riesigen Komplexes fehlte, wie Levi vermutete, das Geld und vielleicht auch Talent. Er verglich das Unterfangen mit der „amerikanischen Ausgrabung der Agora von Athen, die bereits seit fünfzig Jahren im Gang ist“.
Deutlich beeindruckter war Levi von einer der zahlreichen anderen Ausgrabungsstätten im Norden Afghanistans und dem Hauptziel seiner Reise, nämlich der schwer zugänglichen, weil im Grenzland zur Sowjetunion (heute Tadschikistan) liegenden, griechisch-baktrischen Stätte Ay Khanoum, von der Levi in der Vorlesung von Paul Bernard gehört hatte. Am Zusammenfluss zweier Quellflüsse des Amudarja, handelt es sich vermutlich um das antike Alexandria am Oxus – die nordöstlichste Stadtgründung Alexanders des Großen abgesehen von “Alexandria Eschate” (dem wörtlich “abgelegensten Alexandria”). Ay Khanoum wartet mit einer hellenistischen Polis auf, wie man sie in diesem Erdteil nicht vermuten würde – komplett mit Theater, Gymnasion, Vorstadt und Akropolis. Es könnte derselbe Ort sein, den der baktrische König Eukratides I. später in “Eukratideia” umbenannte. Levi schreibt:
Es ist die einzige griechische Stadt in Zentralasien, die je wissenschaftlich ausgegraben wurde; sie enthält Antworten auf alte Fragen und die Anfänge neuer. Ihr zentrales Gebäude ist ein ambitionierter hellenistischer Palast der Epoche der Seleukiden mit einigen wichtigen persischen Elementen […]. Das Heldenmonument außerhalb vor den Palasttoren, das älter als die Palastanlage ist, wurde durch die Grabung eines Tunnels aufgebrochen; und drei seiner vier Gräber waren ausgeraubt. In jüngerer Zeit standen ein paar Hütten auf dem verlassenen Gelände, und die Usbeken nutzten es, um dort Zeltlager zu errichten.
Selbst an diesem Ort, wo es für den graecophilen Archäologen in Peter Levi so viel zu entdecken gab, glitt er nicht in eine monotone Beschreibung der Stätten ab, sondern blieb bei seinen plastischen, mit Gegenwartsbezügen angereicherten Beschreibungen. Am Ende hatte Levi doch herausgefunden, “welche Art von Buch er schreiben würde”. Am Ende hatte er den Faden gefunden, der ihm den Weg durch dieses verwirrende Labyrinth aus Vergangenheit und Gegenwart wies. Aufgrund der schieren Menge und Vielfalt von archäologischen Fragen, aber auch aufgrund der überwältigenden Fremdartigkeit des Landes, schlug er letztendlich den Weg des großen Vorbilds Robert Byrons ein. Dessen stilprägendes Reisebuch Road to Oxiana schleppte übrigens sein Reisebegleiter Bruce Chatwin wie eine Bibel überall mit sich herum.
Ähnlich beeindruckt ist Levi von den zahlreichen anderen Ausgrabungsstätten im Norden Afghanistans und schließlich dem Hauptziel seiner ganzen Reise, der schwer zugänglichen, weil im Grenzland zur Sowjetunion (heute Tadschikistan) liegenden, griechisch-baktrischen Stätte Ay Khanoum, vermutlich das antike Alexandria am Oxus: eine hellenistische Polis, komplett mit Theater und Gymnasion, Vorstadt sowie Akropolis – am äußersten nordöstlichen Rand des alexandrinischen Eroberungsfeldzugs. Levi schreibt:
Es ist die einzige griechische Stadt in Zentralasien, die je wissenschaftlich ausgegraben wurde; sie enthält Antworten auf alte Fragen und die Anfänge neuer. Ihr zentrales Gebäude ist ein ambitionierter hellenistischer Palast der Epoche der Seleukiden mit einigen wichtigen persischen Elementen […]. Das Heldenmonument außerhalb vor den Palasttoren, das älter als die Palastanlage ist, wurde durch die Grabung eines Tunnels aufgebrochen; und drei seiner vier Gräber waren ausgeraubt. In jüngerer Zeit standen ein paar Hütten auf dem verlassenen Gelände, und die Usbeken nutzten es, um dort Zeltlager zu errichten.
Selbst an diesem Ort, wo es für den graecophilen Archäologen in Peter Levi so viel zu entdecken gab, glitt er nicht in eine monotone Beschreibung der Stätten ab, sondern blieb bei seinen plastischen, mit Gegenwartsbezügen angereicherten Beschreibungen. Am Ende hatte Levi doch herausgefunden, “welche Art von Buch er schreiben würde”. Am Ende hatte er den Faden gefunden, der ihm den Weg durch dieses verwirrende Labyrinth aus Vergangenheit und Gegenwart wies. Aufgrund der schieren Menge und Vielfalt von archäologischen Fragen, aber auch aufgrund der überwältigenden Fremdartigkeit des Landes, schlug er letztendlich den Weg des großen Vorbilds Robert Byrons ein. Dessen stilprägendes Reisebuch Road to Oxiana schleppte übrigens sein Reisebegleiter Bruce Chatwin wie eine Bibel überall mit sich herum.
Und doch fand Peter Levi in all dem seine eigene Stimme. Es war die Stimme der Gleichzeitigkeit. In “The Light Garden” geschieht alles zugleich: Traum und Wirklichkeit, Gelesenes und Erlebtes. In den Gedanken des Beobachters lösen sich die Grenzen von Vergangenheit und Gegenwart und verschwimmen mit der Szenerie, den Farben, Gerüchen und Geräuschen, den Tieren und Menschen, den Straßen und Häusern. Durch die Gleichzeitigkeit der Betrachtung archäologischer Stätten, gedanklicher Rekonstruktion, Hineinversetzen in längst verblichene Zeugen („Könnte es Klearchos, der Schüler des Aristoteles, gewesen sein, der dafür verantwortlich war?“) und dem Verfassen des eigenen Reiseberichts über ein aus westlicher Perspektive rückständiges und ursprüngliches Land, fällt es Peter Levi leicht, seine Metamorphosen mit Leben zu erfüllen.
So könnte derselbe einfache usbekische Nomade, mit dem Levi gerade noch sprach, ebenso gut vor 2300 Jahren einem Soldaten in der Armee Alexanders des Großen begegnet sein. Der Stein am Hang der Bala Hissar Festung in Kabul, den Peter Levi gerade aus Versehen lostrat, könnte ebenso gut vor 500 Jahren von einem Fußsoldaten des Großmoguls Babur ins Rollen gebracht worden sein. Peter Levi beschreibt seine eigene kurze Erkrankung, durch die er erschöpft und halluzinierend fast vom Pferd fällt, genauso beiläufig wie das Fieber des britischen Generals Frederick Roberts, der 1880, nach der verlorenen Schlacht von Maiwand, von Kabul her kommend, seine Truppen zu einem dreiwöchigen Gewaltmarsch in die Schlacht von Kandahar peitschte.
Den Titel seines Buchs fand Levi übrigens an einer der vielen „seltsamen Stätten“, mit denen Afghanistan aufwartet, nämlich am Grab des Moguls Babur (1483−1530), der über ganz Indien herrschte und sich dennoch in seinem geliebten Kabul beerdigen ließ – auf einer Anhöhe, in einem zum Himmel geöffneten Grab. Seine Nachkommen bauten auf dem Hügel natürlich eine Moschee und brachten eine Inschrift an, die den Herrscher als „Angel King“ bezeichnete, und seine Ruhestätte als „highway of archangels“, „theatre of heaven“ und „light garden“.
Dieses Afghanistan, diese „Fernstraße der Erzengel“, dieses „himmlische Theater“ und dieser „Garten des Lichts“, dessen Mauerreste und Schutthaufen Levi und Chatwin besichtigten, ist längst verschwunden. Aber auch von dem Afghanistan, das sie im Jahre 1969 sahen, ist heute nicht mehr viel übrig. Vierzig Jahre Invasion, Krieg, Bürgerkrieg und religiöser Fanatismus haben tiefe Wunden gerissen. Ein Grund mehr, dieses Land am sprichwörtlichen Scheideweg, an einer der Kreuzungen der Weltgeschichte, aufs Neue zu entdecken. ■
Afghanistan-Reiseberichte
- Lord Robert Byron (1937): The Road to Oxiana
Natürlich kannte Peter Levi diesen Klassiker der Morgenland-, Indien- und Afghanistanreise von Robert Byron (1905—1941). Levis Reisebegleiter Bruce Chatwin betrachtete es sogar als das beste Buch, das je geschrieben wurde, und schleppte angeblich seit seinem 15. Lebensjahr ein Exemplar wie eine Bibel mit sich herum.
- Nancy Dupree (1977): Historical Guide to Afghanistan
Nancy Dupree (1977): Historical Guide to Afghanistan Peter Levis Altersgenossin Nancy Hatch Dupree (1927—2017) hat sich besonders um das archäologische Erbe und das Museumswesen Afghanistans verdient gemacht. Zu ihren Veröffentlichungen gehören ihr Historical Guide to Kabul (1965) und ihr weltweit erster Reiseführer zu den Riesen-Buddhas von Bamiyan (1967). Auch Nancy Duprees eigene Lebensgeschichte lohnt einer genaueren Betrachtung, zumal sie während der sowjetischen Invasion, während des afghanischen Bürgerkriegs und während der Gewaltherrschaft der Taliban nicht etwa in ihr Heimatland USA zurückkehrte, sondern in einem Flüchtlingslager in Peschawar lebte – derselben Stadt, in der Osama bin Laden seine Basis (al-Qaeda) aufbaute. Von Peschawar aus organisierte Dupree die Rettung eines beträchtlichen Teils des afghanischen Kulturerbes vor dem sicheren Untergang. Ihr beeindruckender Bericht über die Plünderung des Kabul National Museum aus dem Jahre 1998 findet sich hier: https://archive.archaeology.org/online/features/afghan/.
- Rory Stewart (2009): The Places in Between
Unter den neueren Reiseberichten über Afghanistan sticht Rory Stewarts The Places in Between hervor (dt. So weit die Knie tragen). Der englische Diplomat Rory Stewart forderte nur ein Jahr nach der US-Invasion im Jahre 2001 auf einem Fußmarsch durch ein von Islamismus und Krieg völlig zerstörtes Afghanistan sein Schicksal heraus und konnte dabei wunderbarerweise auf die Hilfe der einheimischen Bevölkerung zählen.
- Rory MacLean (2006): Magic Bus: On the Hippie Trail from Istanbul to India
Wer es popmusikalisch und etwas leichter mag, folgt Rory MacLean auf seinem Trip entlang des Hippie Trails von Istanbul durch den Iran und Afghanistan bis nach Indien: Magic Bus (2006). Kapitel 14 bis 19 handeln von Afghanistan.
- Mohsen Makhmalbaf (2001): Kandahar
Wer es surreal mag, sieht sich den Film Kandahar (dt. Reise nach Kandahar) von Mohsen Makhmalbaf über das repressive Régime der Taliban an, der kurz vor den Anschlägen vom 11. September bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde. Die afghanisch-kanadische Schriftstellerin Nelofer Pazira, Protagonistin und Hauptdarstellerin aus Reise nach Kandahar, drehte im Jahre 2003 die Folge-Dokumentation Return to Kandahar.
- Christian Frei (2005): The Giant Buddhas
Nelofer Pazira ist auch Bestandteil von Christian Freis überragendem Dokumentarfilm The Giant Buddhas (dt. Im Tal der großen Buddhas) über die Buddha-Statuen von Bamiyan und deren Zerstörung im März 2001 durch die Taliban (unter Mithilfe von bin Ladens Sprengmeistern).
Sonstiges
- Matsuo Bashō (1689): Oku no Hosomichi
Peter Levi las etwa zur Zeit seiner Reise den japanischen Haiku-Meister Matsuo Bashō (1644—1694). Sicher stand er unter dem Eindruck von Bashōs Beschreibung seiner Reise durchs nördliche Japan Oku no Hosomichi aus dem Jahr 1689 (dt. Auf schmalen Pfaden ins Hinterland), die folgendermaßen beginnt: “Sonne und Mond, Tage und Monate verweilen nur kurz als Gäste ewiger Zeiten‘, und so ist es mit den Jahren auch: sie kommen und gehen, stets auf Reisen. Nicht anders ergeht es den Menschen, die ein Leben lang auf Schiffen über das Meer reisen oder auf dem Rücken von Pferden ihrem Alter entgegenreiten: täglich unterwegs, ist ihr ganzes Leben eine Reise, ist die Reise ihre Heimat. Viele Dichter, die vor uns lebten, starben bereits auf der Wanderschaft. Meine Gedanken hören dennoch nicht auf, wohl angeregt durch den Wind, der die Wolkenfetzen jagt, um das stete Getriebenwerden zu schweifen – ich weiß schon gar nicht mehr von welchem Jahr an.”
- ↑ [1] Excellent overview of what is known about this quote by a Buddhist meditation teacher who runs a blog wholly dedicated to fake Buddha quotes: https://fakebuddhaquotes.com/life-is-a-bridge-dont-build-a-house-on-it/
- Buland Darwaza Gate (Wikipedia)
- Akbar I. “The Great” (Wikipedia)
- Babur “The Tiger” (Wikipedia)
- Peter Levi (Wikipedia)
- The Light Garden of the Angel King: Journeys in Afghanistan by Peter Levi (Amazon)
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